Aktuell in der ZKM

Konfliktklärung mittels Legal Design (Greger, ZKM 2024, 56)

Kann Legal Design – die Anwendung designerischer Herangehensweisen und Gestaltungsmittel auf juristische Sachverhalte – genutzt werden, um von einem Rechtskonflikt betroffene Menschen auf den besten Weg zu dessen Lösung zu geleiten? Dies herauszufinden, ist Ziel des Forschungsprojekts Recht ohne Streit, dessen interaktive Internet-Plattform im vergangenen Jahr den Probebetrieb aufgenommen hat. Die Auswertung von Rückmeldungen und Nutzerverhalten hat gezeigt: Der Ansatz ist richtig und entwicklungsfähig.


I. Projektziel

II. Designerische Prinzipien

III. Umsetzung mit Recht ohne Streit

IV. Erfahrungen aus dem Testbetrieb

1. Resonanz aus den Fachkreisen

2. Nutzerverhalten

V. Schlussfolgerungen

VI. Resümee und Ausblick


I. Projektziel

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass herkömmliche Methoden der Aufklärung oder Werbung nicht geeignet sind, die Diversität der Konfliktbehandlung zu erschließen. Das Denken in rechtlichen Positionen und Ansprüchen ist in unserer Gesellschaft derart verinnerlicht und wird durch ein gut ausgebautes Rechtsberatungs- und Rechtsprechungssystem so verstärkt, dass bei Auftreten eines Konflikts regelmäßig in diesen Kategorien gedacht wird. Angebote alternativer Konfliktlösung sind dann kaum vermittelbar, erscheinen selbst dafür aufgeschlossenen Menschen oft intransparent, komplex und schwer zugänglich.

Ziel des Projekts ist es daher, Konfliktbetroffenen klar zu machen, dass sie „ihr Recht“ auch auf andere, unter Umständen bessere Weise als durch die Berufung auf vorgegebene Normen, nämlich durch autonome Gestaltung, erreichen können (daher auch der Name des Projekts). Mit ihm soll nicht nur über andere Methoden informiert und mit deren Vorzügen geworben werden; Ziel ist auch nicht, zu einer bestimmten Methode der Konfliktbeilegung hinzulenken. Es geht vielmehr darum, dass Konfliktbetroffene selbst erkennen, wie sie am besten mit ihrer Situation umgehen können. Und sie sollen dafür motiviert, darin bestärkt und dabei unterstützt werden, diesen Weg zu beschreiten.

II. Designerische Prinzipien

Um Konfliktbetroffene dafür zu gewinnen, sich auf ein solches Selbststeuerungssystem einzulassen, bedarf es eines möglichst niedrigschwelligen Einstiegs. Dem heutigen Verhalten bei der Informationssuche entsprechend bietet sich hierfür eine Internet-Plattform an. Sie muss so gestaltet sein, dass sie auch auf Mobilgeräten eine komfortable Nutzung ermöglicht. Zugangshürden durch Cookie-Banner, rechtliche Belehrungen, Einverständnis- oder Haftungsverzichtserklärungen sind, ebenso wie eine Erhebung persönlicher Daten, idealerweise zu vermeiden. Das System sollte sich einer laienfreundlichen, aber unaufdringlichen Sprache bedienen; die Nutzer müssen sich in ihrer individuellen Situation angesprochen fühlen. Sie dürfen nicht mit zu langen Texten konfrontiert werden, sondern müssen die Möglichkeit haben, selbst zu bestimmen, wie tief sie in die Materie einsteigen, ob sie sich auf einen Weg konzentrieren oder sich variabel durch das Informationsangebot bewegen wollen. Es muss die Möglichkeit bestehen, Zwischen- oder Endergebnisse zu speichern, auszudrucken und zu teilen. Grafische und mediale Elemente sollen die Interaktion gefällig machen und für Transparenz sorgen, auflockern, ohne die Seriosität des Tools in Frage zu stellen. Selbstverständlich soll das System auch technisch robust, benutzerfreundlich und barrierefrei sein.

III. Umsetzung mit Recht ohne Streit

Alle diese Anforderungen waren bei der Konzeption der Online-Plattform richtungweisend. Benutzer gelangen ohne Umschweife auf eine Startseite, die ihnen die Entscheidung überlässt, ob sie in einer Infothek allgemeine Fachinformationen über alternative Konfliktlösung abrufen wollen (hauptsächlich für Angehörige von Beratungs- oder Ausbildungsberufen konzipiert) oder ob sie einem Konfliktlotsen folgen wollen, der zu Empfehlungen für die Lösung einer konkreten Konfliktsituation führt. Es wird klargestellt, dass weder Kosten noch persönliche Daten erhoben werden und dass keine Rechtsberatung erteilt wird; weitere Informationen zu dem Angebot können abgerufen werden.

Damit fallspezifische Empfehlungen gegeben werden können, fragt der Konfliktlotse (wahlweise per Menu- oder Suchfunktion) nach der Art des zu behandelnden Konflikts. Sodann öffnet sich ein interaktives Modul, welches den Konflikt aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und die User dazu veranlassen soll, einen vom einseitigen Positionendenken befreiten Blick auf ihre Situation zu entwickeln – ein Effekt, der durch normalisierende und verständnisorientierte Schilderungen der Lebenswirklichkeit verstärkt wird.

Sodann leitet der Konfliktlotse, der in Gestalt einer Symbolfigur durch das System führt, über zu den Empfehlungen. Sie beginnen stets auf der niedrigsten Stufe der Konfliktbehandlung, indem sie zu bedenken geben, ob sich nicht durch ein lösungsorientiertes Herantreten an die Gegenseite ein zufriedenstellendes Verhandlungsergebnis erzielen lässt. Hierfür werden nähere Ratschläge erteilt und für den Fall, dass rein bilaterale Verhandlungen nicht (mehr) erfolgversprechend erscheinen, wird die Einschaltung einer Vermittlungsperson empfohlen, die einen Lösungsversuch moderieren und ggf. zu einem strukturierten Verfahren hinleiten kann.

Mit diesem schrittweisen Vorgehen soll eines der größten Hemmnisse für die Inanspruchnahme alternativer Konfliktlösung beseitigt werden, nämlich dass viele Konfliktbetroffene ein formalisiertes Schlichtungs- oder Mediationsverfahren als zu überdimensioniert, anspruchsvoll und fordernd, auch im Hinblick auf die Gewinnung der anderen Seite, betrachten. Der Einstieg in eine triadische Konfliktbehandlung soll deshalb dadurch erleichtert werden, dass empfohlen wird, eine neutrale Person (zunächst) nur als Moderator einzuschalten. Das System zeigt auf, auf welche Weise, durch wen und zu welchen Konditionen eine derartige Konfliktvermittlung in die Wege geleitet werden kann.

Die Nutzer können sich aber auch darüber informieren, wie sie ihre zuvor herausgearbeiteten Interessen, Bedürfnisse, Wertvorstellungen usw. mithilfe strukturierter Konfliktbeilegungsverfahren verwirklichen können. Unterstützt durch visuelle Hilfsmittel und mit kurzen Erläuterungen wird ihnen verdeutlicht, welche Vorgehensweisen sich optimal, bedingt oder weniger dazu eignen, ihre individuellen Anliegen zu verwirklichen. Das Spektrum reicht von Schlichtung und Mediation über evaluative und gutachterliche bis zu Schieds- und Gerichtsverfahren. Aufgezeigt wird auch, dass variable Gestaltungen möglich sind, mit denen die Vorteile verschiedener Lösungswege verknüpft werden können. Die Nutzer sollen erkennen, dass bei der alternativen Konfliktlösung nicht nur das Ergebnis, sondern auch das Verfahren der Parteiautonomie unterliegt. Es wird ihnen daher kein konkreter Vorschlag und auch kein Ranking möglicher Vorgehensweisen, sondern eine individuell aufbereitete Entscheidungsgrundlage geboten.

Zu deren Vertiefung können sie sich selbstbestimmt durch ein umfangreiches Informationsangebot klicken, sich durch Videos und die Schilderung von Beispielsfällen ein genaueres Bild von den alternativen Methoden verschaffen, auch parallel zu verschiedenen Lösungswegen recherchieren, ihre Interessenswahl nochmals variieren u. dgl. mehr.

Wenn sie sich dann entscheiden, einen dieser Lösungswege zu beschreiten, erhalten sie Tipps zum konkreten Vorgehen, insbesondere zur Gewinnung des Konfliktpartners, zur Einbindung anwaltlicher Berater, Vertreter oder Vermittler, zu Leistungen der Rechtsschutzversicherung, zur Auswahl der Person, die als Schlichter, Mediator usw. fungieren soll, und zu den hierbei zu treffenden Vereinbarungen. Dafür können Mustertexte heruntergeladen werden, ebenso alle Verfahrensinformationen. Auch für den gerichtlichen Rechtsschutz werden Informationen und Einstiegshilfen geboten.

IV. Erfahrungen aus dem Testbetrieb

Nach einer etwa zweijährigen Vorbereitungszeit mit mehrfachen Iterationen und intensivem Austausch mit Fachkreisen wurde das System in ersten Halbjahr 2023 online gestellt, um Erfahrungen aus der praktischen Nutzung zu gewinnen.

1. Resonanz aus den Fachkreisen

Die Einrichtung einer allgemein zugänglichen Informationsplattform nach dem Muster von Recht ohne Streit wurde vielfach befürwortet. Positiv bewertet wurde insbesondere, dass Rechtsuchende eine fundierte, auf ihre konkrete Situation bezogene, nicht von Anbieterinteressen beeinflusste Information zu den möglichen Vorgehensweisen erhalten. Allerdings sei das Angebot auf Menschen zugeschnitten, die zu intensiver Beschäftigung mit ihrem Konflikt bereit sind; auf schnelle Informationen erpichte Internet-Nutzer werde man damit kaum erreichen.

Das Design der Plattform fanden viele Fachnutzer sehr passend, weil es mithilfe von Piktogrammen, einer unaufdringlichen Schrift, übersichtlicher Seitengestaltung und persönlicher Ansprache Hemmschwellen nehme, wie sie etwa bei steifen Behördenseiten bestünden. Die schlichte, Ablenkung vermeidende Darstellung kam bei den meisten Rückmeldungen gut an. Die Navigation wurde als einfach und zielführend empfunden, die Möglichkeit, vertiefende Texte aufzuklappen und wieder zurück zu gehen oder auf andere Pfade zu wechseln, positiv bewertet. Die Vielfalt der Konfliktlösungsmethoden werde anschaulich und informativ nähergebracht. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.04.2024 14:49
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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